Während ein erheblicher Teil der Ukrainer_innen sich auf den Second Hand Läden oder billigen Märkten anzieht, wurden für die Herstellung von Kleidung für die Moderatoren der Eurovision fast 900 000 UAH ausgegeben (ca. 30 000€).
Wenn die Lebenshaltungskosten mindestens 1684 UAH monatlich betragen, ist es sehr schwierig eine beträchtliche Menge an Geld für Kleidung auszugeben. Vor allem für Markenkleidung, wobei eine Hose mindestens 600 UAH und ein Kleid 800 UAH kosten. Sich die Kleidung individuell schneidern zu lassen ist noch weniger wahrscheinlich, weil es in der Regel anderthalb bis zwei Mal so teuer ist. Deshalb legen wir sorgfältig Geld beiseite, um im Laufe des Jahres beispielsweise für einen neuen Wintermantel oder Schuhe zu sparen. Die Moderatoren der Eurovision haben viel mehr Glück gehabt: speziell für sie wird Kleidung für den Preis von insgesamt 894 000 UAH angefertigt.
Jetzt wird die Vielfalt der Möglichkeiten gefeiert, das Geld aus dem Fenster zu werfen.
Und wir werden weiterhin zu Second Hand Läden gehen.
Nachdem der rassistische Angriff von Mitgliedern des Kampfbataillons Azov in Mariupol öffentlich gemacht wurde (s. unseren Beitrag „ Sicher für alle?“), hat sich die nationale Polizei der Donetsk Oblast entschieden wirklich an die Arbeit zu gehen. Anstatt diesen rassistischen gewaltsamen Angriff öffentlich zu verurteilen, haben sie ein Treffen organisiert, in dem sie die „Konfliktparteien“ an einen Verhandlungstisch gesetzt haben. Im Bericht über die getane Arbeit nennen sie den Angriff, bei dem Menschen vor Rassisten mit Schlagstöcken fliehen mussten, „verbalen Konflikt“ und „Missverständnis“. Der vorliegende Beitrag der Polizei enthält viele persönliche Informationen über den Betroffenen, aber kein Wort über die rassistischen Angreifer. Diesen Fall betrachtet die Polizei als Einzelfall. Dem Betroffenen wurde die Nummer des Donetsker Vorsitzenden der Polizei gegeben. Das wird natürlich einen zuverlässigen Schutz vor Rassismus für alle bieten.
Solidarisierung mit Rassist_innen gehört zur bestehenden Praxis von ukrainischen Behörden und Polizei. So haben die Polizei und die lokalen Behörden nach dem Pogrom gegen Roma in der Odessa Oblast im August 2016 eine Pressekonferenz für die „wütenden“ weißen Bürger_innen, die den Pogrom gemacht haben, veranstaltet. Sie haben versprochen, einen „Korridor“ zu organisieren, damit Roma das Dorf verlassen können und haben das Pogrom auf diese Weise zu Ende geführt.
В районі метро Лівобережна почались зачистки від безпритульних тварин, повідомляють активіст_ки-зоозахисни_ці. Цитата:
„Срочно! Бульвар Верховного совета,22! Час назад приехала машина и были выловлены и вывезены все коты! Жители и жек говорят о распоряжении по зачистке левого берега от бездомных животных!
У кого есть выходы на международные организации?
Нужна помощь на месте!“
Help needed! Activist and animal defender writes about order to clear the area of Eurovision locations of stray animals. If you know any international organizations working in this field, please contact this number +38067 329 61 85
Nahe des Bahnhofs Livoberezhnaya haben Säuberungen von streunenden Tieren angefangen, wie Aktivist_innen und Tierschützer_innen berichten. Zitat:
„Dringend! Verkhovnoi Rady Boulevard, 22! Vor einer Stunde kam ein Auto und hat alle Katzen eingefangen und weggefahren. Die Einwohner_innen und die Wohnungsverwaltung sprechen von einer Verfügung das linke Ufer von streunenden Tieren zu befreien!
Wer hat Kontakt zu internationalen Organisationen?
Wir brauchen Hilfe vor Ort!“
Kontaktnummer der örtlichen Aktivist_innen +38067 329 61 85
https://www.facebook.com/victoria.stadnik/posts/10155339488892300?hc_location=ufi
Die Kyiver Stadtverwaltung hat angekündigt den Verkehr von Straßenfahrzeugen und… Fußgänger_innen einzuschränken. Die Liste der Straßen, auf denen die Bewegung eingeschränkt wird, ist beeindruckend. Und den Satz „Ab dem 25. April um 24:00 Uhr bis zum 18. Mai um 24:00 Uhr ist für Fußgänger_innen das Betreten der Straße Khreschatyk (von Bogdan Chmelnizki Str. bis Prorizna Str. am unteren Teil des Bürgersteigs auf der ungeraden Seite der Straße Khreshchatyk) verboten“ konnten wir nicht entschlüsseln.
Inklusion?
Innerhalb von zwei Wochen vom 30. April bis 14. Mai wird der Verkehr von Fahrzeugen und Fußgänger_innen auf zwei großen Straßen in beide Richtungen eingeschränkt. Auch am 6. und 7. Mai wird vorübergehend eine große Anzahl von Straßen für den Verkehr und für Fußgänger_innen blockiert. Insgesamt ist die Anzahl der Beschränkungen der Mobilität von Autos und Fußgänger_innen beeindruckend.
Diese Umstrukturierung trägt nicht zum Wohlfühlen der Einwohner_innen bei, sondern bedeutet konkrete Hinderungen und Verbote im Lichte der Eurovision. Tausende von Menschen sind dazu gezwungen ihren Alltag umzukrempeln, von denen sich viele kein Eintrittsticket zu den Veranstaltungen leisten können oder wollen. Für den reibungslosen Ablauf des Song Contests werden die Beschränkungen und Verbote mit einer noch stärkeren Militiarisierung der Stadt als bislang durchgesetzt. Was muss noch gemacht werden, damit 10.000 Polizist_innen was zu tun haben?
Der von der städtischen Regierung betriebene Aufwand die städtische Infrastruktur vor der Eurovision kurzzeitig massiv umzugestalten ist erstaunlich vor dem Hintergrund der permanenten Tatlosigkeit bezüglich der eigenen Einwohner_innen. Seit Jahren ändert sich nichts an den ausschließenden und diskriminierenden Straßen, Straßenübergängen und öffentlichen Transportmitteln, Bahnstationen bleiben für ältere Menschen, Rollstuhlfahrer_innen und Kinderwagen nach wie vor unzugänglich. Infrastruktur für Radfaher_innen in der Stadt ist praktisch vollkommen abwesend. Der kurzzeitge oberflächliche Schein einer modernen und schicken Stadt in der europäischen Öffentlichkeit wird demnach einer Einwohner_innenfreundlichen und inklusiven Stadt vorgezogen.
Ratet mal, was laut dem Bürgermeister dringend getan werden muss? (Achtung! Die Antwort gibt es am Ende des Textes).
Zitat: „Ich habe mich an das Ministerkabinett gewendet, an den Premierminister. Dieses Problem muss gelöst werden. Es bleibt nicht mehr viel Zeit“, sagte Vitaly Klitschko.
Und habt ihr Ideen?
Also… Der Bürgermeister bittet eine Baustelle in der Nähe eines Eurovision Veranstaltungsortes mit einem Banner zu verhängen.
Das ist wohl wirklich das einzige, was jetzt das Ministerkabinett in dieser Lage interessieren könnte, in der sich die Ukraine gerade befindet.
Der Leiter der Sicherheitskoordination vor und während der Eurovision, Bohdan Lyzogub, erzählte, dass während des internationalen Song Contests rund 10 000 Polizisten und Nationalgardisten zur Bewachung der Stadt herangezogen werden. An allen dreizehn wichtigen Standorten der „Eurovision“ wird es verstärkte Polizeistreifen geben. Außerdem werden diese Bereiche mit Videoüberwachung ausgestattet. Zitat:
„Bei dem Hauptstandort Internationales Ausstellungszentrum werden 115 Überwachungskameras installiert. Sie werden sich sowohl innerhalb als auch außerhalb des Raumes befinden. Insgesamt wird die Stadt mit rund 7 000 Überwachungskameras ausgestattet“, sagt Bohdan Lyzogub. „Wir werden verstärkte Polizeistreifen gewährleisten, wobei vor allem die zentralen Teile der Stadt und alle Standorte sowie Ankunfts- und Aufenthaltstorte der Bürger patrouilliert werden sollen. Außerdem wird es verstärkte Sicherheitsvorkehrungen bei den Verkehrsmitteln sowie Informationsstellen der Polizei geben“.
Wir wollen daran erinnern, dass sich lediglich weiße Männer und Frauen der Mittelschicht sicher fühlen werden. Allen anderen ist der Kontakt mit der Polizei gut bekannt und ruft kein Gefühl des Schutzes hervor.
Im Rahmen einer weiteren Sicherheitsverstärkung wurden in der gestrigen Nacht vom 27. auf den 28. April Trainingseinheiten für Polizisten in der Kyiver U-Bahn durchgeführt. Eventuell bestanden die Übungen darin, Betroffene von Gewalt noch besser davon zu überzeugen von einer Anzeigenerstattung abzusehen. So geschah es am 23. April in Mariupol. Kämpfer des Azov Kampfbataillons haben Schwarzen jungen Männern auf einem Fußballfeld gedroht. Zitat:
„Wenn sie (Schwarze) jetzt nicht weggehen, gehen sie gar nicht mehr weg“.
Magomet, ein ausländischer Studierender, hat bestätigt, dass er und seine Freunde einen Konflikt mit Menschen in Militäruniform hatten. Magomet hat versucht eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten, aber auf dem Polizeirevier wurde ihm dies verwehrt. Magomet sagt: „Die Polizisten wollten nicht, dass ich eine Anzeige erstatte“.
Nun, bald stehen 10 000 Polizisten mit ihren Diensten für weiße bereit. #бідність_війна_євробачення
„Uns ist wichtig, dass alles, was in der Hauptstadt gemacht wird, vor allem zum Wohlfühlen der Einwohner beiträgt“ – verlautbart die Kyiver Städtische Staatsverwaltung. Und dann stellt sie 19 Millionen Hrywna für ein Überwachungssystem bereit. Die Vorbereitung auf den Eurovision Song Contest benötigt zusätzliche Finanzierung durch das städtische Budget, aber die Kyiver Städtische Staatsverwaltung versichert, dass diese Geldmittel „für dringliche Änderungen ausgegeben werden… denn die Rede ist nicht nur vom Image der Hauptstadt“.
Einige der dringlichen Probleme der Stadt, die zusätzliche Finanzierung benötigen, sind das aufwendige Überwachungssystem in Orten des Geschehens des Song Contests „Eurovision 2017“ (19 150 000 UAH, ca. 656 000 €) und die Vorbereitung von Freiwilligen für die Eurovision (500 000 UAH, ca. 173 000 €), die „den Gästen helfen werden sich in den Wochen der Eurovision wohl zu fühlen und eine spannende Zeit in der Hauptstadt zu erleben“. Bisher also kein einziges Wort bezüglich des Wohles der Einwohner_innen.
Und das sind noch nicht alle Ausgaben. Führt euch das vor Augen:
5 000 000 UAH (173 000 €) – Anschaffung von Mülleimern für Aufbesserung der Gepflegtheit der Stadt 4 300 000 UAH (149 000 €) – Organisation und Durchführung von Massensportveranstaltungen 125 000 UAH (4 300 €) – Außengestaltung der Museumsfläche der „Kyiver Festung“ 100 000 UAH (3 500 €) – Durchführung der technischen Überprüfung der Attraktionen in den Parks
Aber dies alles ohne Kommentar, denn wie es auf der Homepage der Stadtverwaltung heißt, „Der Vorsitzende der Stadtverwaltung forderte auf, aufzuhören jegliche Spekulationen darüber anzustellen, dass das für die Eurovision bereitgestellte Geld besser in anderen Bereichen aufgehoben wäre“.
Es bleiben nur 13 Tage bis „die unglaubliche Atmosphäre des Liedwettbewerbs bald schon die Hauptstadt füllt“.
Am Vorabend des Eurovision Song Contests wurde die zum Veranstaltungsort nächstgelegene Bahnstation „Livoberezhna“ umgebaut. Für den Umbau wurden 24 838 230 Hrywna ausgegeben. Nicht einmal knapp eine Million Dollar konnte die Qualität des Bahnhofsumbaus sicherstellen und das postulierte Motto des Projektes realisieren. Eine der empörendsten Nachrichten über den Umbau war, dass die neuen Türen von Rollstuhlfahrer_innen nicht benutzt werden können. Jetzt hat die ukrainische Presseagentur Ukrinform gemeldet, dass die Türen ersetzt worden sind.
Aber trotz des diesjährigen Eurovision Slogans „Celebrate Diversity“ wird berichtet, dass nur 50 von 7000 Plätzen des Veranstaltungsortes für Rollstuhlfahrer_innen vorgesehen sind. Die ukrainischen Medien widmen dem bis jetzt keine Aufmerksamkeit. Auf der Homepage von Ukrinform heißt es feierlich „Eurovision geht, aber neue Straßen mit Bürgersteigen bleiben“.
Aber was bleibt eigentlich?
Um Klarheit zu schaffen, wiederholen wir nochmal die Zahlen: 6550 Plätze sind nicht für Rollstuhlfahrer_innen zugänglich und lediglich 50 Plätze sind über eine Rampe erreichbar.
Am 30. März um 00:43 Uhr erschien auf Facebook ein Post des Abgeordneten des Kyiver Stadtrats Andriy Strannikov darüber, dass er und seine Gleichgesinnten sich in Bezug auf das „Problem“ der Existenz einer Siedlung von Roma in Kyiv vorbereiten, bestimmte Maßnahmen zu treffen. Näheres zu den Vorhaben könne er nicht sagen. Zitat: „Um der Sache nicht zu schaden, kann ich jetzt keine Einzelheiten verraten, einige Dinge können wir nicht öffentlich diskutieren.“
Die mit Kindern in der Siedlung der Roma arbeitenden Aktivist_innen informierten, dass Menschen vermummt mit Balaklavas am 31. März um 5 Uhr früh in die Siedlung gekommen sind, alle fotografiert, allen Finderabdrücke abgenommen und zum Weggehen aufgefordert haben. Sie haben gedroht, mit der Erklärung, dass bald Eurovision ist.
Bereits am 6. April hat Radio Svoboda berichtet, dass in Kyiv im Neubaugebiet Bereznyaky die Siedlung, in der Angehörige der Roma Minderheit wohnten, abgebrannt ist. Sie haben die Siedlung am Vortag verlassen, niemand kam zu Schaden. Laut den betroffenen Roma hat die Polizei ihnen Zugtickets in die Zakarpattya Region der Ukraine gekauft.
Olga Zhmurko, die Direktorin des Romaprogramms des Internationalen Fonds „Renaissance“ nannte die Brandstiftung, die sich am Abend des 5. April ereignete, als „schon bekannte Methode die Stadt von „unattraktiven“ Menschen für den Blick der ausländischen Gäste zu säubern“, berichtete Hromadske Radio.
Quellen: